Ein Raunen ging durch die Reihen der Zuhörer. Regeln! Grundsätze! Wo es doch jeder gewohnt war, selbst zu entscheiden, was richtig und was falsch war. Åge zog Misstrauen auf sich. Fäuste wurden geballt und einige Gesichter wurden grimmig.
Åge musste da wohl etwas weiter erläutern: „Eine Übersicht über seine Zahlen soll jeder veröffentlichen. Dadurch können seine Lieferanten sehen, ob man zahlungsfähig sein wird. Wenn also der Bauer dem Müller Getreide liefert, soll der natürlich sicher sein können, dass der die Rechnung auch bezahlen kann. Denn sonst nützt auch eine Klage auf dem Thing nichts, wenn der Müller nichts mehr hat. Der Müller kann dann zwar bestraft werden, aber der Bauer bekommt dann trotzdem nichts. Deshalb soll der Bauer die wichtigsten Zahlen sehen dürfen und dann muss er darauf vertrauen können, dass er den Zahlen Glauben schenken kann.“ Da rief Bauer Hilmar: „Aber unseren Müller Teutobald kennt doch jeder. Da brauche ich doch seine Zahlen nicht. Teutobald und ich haben doch schon als Kind zusammen …, äh, friedlich gespielt.“ „Ja, das ist richtig“, entgegnete Åge, „Aber wenn Müller Teutobald wieder ein Problem mit der Mühle hat und Ihr das Getreide nach Thorsheim zu Müller Meinolf bringt? Kennt ihr den auch?“
Die Fäuste gingen wieder auf, irritierte Blicke wurden ausgetauscht. Den kannte man in der Tat kaum, aber sollten sie etwa mit Thorsheimern zusammenarbeiten? Das, nachdem die geflüchteten Hamster der kleinen Osrun ihnen Teile ihrer Ernte weggefressen hatten? Man musste sich erst noch daran gewöhnen, dass die Fehden für beendet erklärt waren.
Åge fuhr fort: „Also die Grundsätze, das Rahmenkonzept der IAS:
Periodenabgrenzung: Geschäftsvorfälle werden dann gebucht, wenn sie entstehen. Also wenn Ihr etwas kauft, wird sofort eine Verbindlichkeit für die Rechnung gebucht und nicht erst, wenn Ihr die Rechnung begleicht. Ihr ordnet also alles dem Jahr zu, in dem etwas entsteht.
Unternehmensfortführung: Ihr geht immer davon aus, dass Euer Unternehmen weiter besteht, es sei denn, die Geschäftsaufgabe ist schon beschlossene Sache. Wenn Ihr also einen Pflug kauft und der normalerweise 10 Jahre hält, dann behandelt ihn in den Büchern auch so, als wenn ihr ihn auch 10 Jahre benutzen werdet.
Verständlichkeitkeit: Ein anderer muss Eure Zahlen verstehen können, wenn er sich normalerweise mit solchen Zahlen auskennt.
Relevanz: Irrelevante Dinge, wie die Hochzeit der Tochter, bleiben weg, es sei denn der Schwiegersohn bringt seine Mitgift in die Firma ein. Relevante Dinge sind aber aufzuführen und im Zweifel in einem Anhang zu beschreiben.
Wesentlichkeit: Wenn etwas Wesentlich ist, bspw. eine große Investition, dann führt Ihr sie in den veröffentlichten Zahlen in einem Anhang auf. Kleinigkeiten lasst Ihr natürlich weg.
Verlässlichkeit: Arbeitet mit Sorgfalt und ordentlich. Jeder Vorgang wird verbucht.
Glaubwürdige Darstellung: Also keine Übertreibungen im erklärenden Anhang! Zur Glaubwürdigkeit gehört auch, dass ihr alles mit einem Beleg nachweist. Also: Keine Buchung ohne Beleg!
Wirtschaftliche Betrachtungsweise: Wenn Ihr bspw. ein Grundstück zwar rein rechtlich, sagen wir, der Ehefrau übertragt, dieses aber wirtschaftlich weiter selbst nutzt, bleibt es in euren Büchern.
Neutralität: Haltet Euch mit zu positiven oder zu negativen Darstellungen zurück.
Vorsicht: Die Vorsicht gebietet eine Bewertung der Risiken, die es in einem Unternehmen unweigerlich gibt, mit großer Sorgfalt und Gewissenhaft zu prüfen und zu bewerten, damit das Vermögen nicht zu hoch und die Schulden nicht zu niedrig eingeschätzt werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass stille Reserven angelegt und bspw. Rückstellungen bewußt überbewertet werden dürfen.
Vollständigkeit: Die Informationen müssen unter Beachtung der Relevanz und Wesentlichkeit, vollständig sein. Es dürfen keine wichtigen Sachen weggelassen werden.
Vergleichbarkeit: Eure veröffentlichten Zahlen und Erläuterungen müssen über die Jahre und zu anderen Unternehmen vergleichbar sein. Das bedeutet aber nicht, dass alles einheitlich sein muss, sondern man muss in der Lage sein, gleiche Positionen mit einander vergleichen zu können.
Zeitnähe: Die Zahlen sind zu veröffentlichen, wenn sie noch aktuell sind, und bspw. nicht erst, wenn schon einige Jahre verflossen sind.
Abwägung von Kosten und Nutzen: Der Aufwand, eine Information bereitzustellen soll nicht höher sein, als der Nutzen dieser Information.
Abwägung der qualitativen Anforderungen an den Abschluss: Ein maximales Maß an Qualität und Transparenz wird meist nicht in angemessener Zeit mit angemessenen Aufwand erreichbar sein. Hier ist eine Abwägung erforderlich.
Vermittlung eines den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild: Die Zahlen und Erläuterungen sollen ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage geben. Man darf sich also weder zu gut noch zu schlecht darstellen.“
Nach diesen Erläuterungen waren die Anwesenden müde und erschöpft. Man einigte sich, am nächsten Tag wiederzukommen und weiter den Ausführungen Åges zu folgen. Das Ganze klang doch erst einmal recht vernünftig. Irgendwo kicherte jemand: „Wenn Nordbert jetzt seine ganzen stillen Reserven bei seinen Biervorräten offenlegen muss, kriegt er mit Sicherheit Ärger mit seiner Frau!“
Åges Krug war auch mittlerweile leer. König Konge beschloss, ihn zum Abendbrot mitzunehmen. Großere Revolten hat es nicht gegeben, die Mission schien also erfolgreich.